Pastor hinter Gittern…
…nicht, weil er eine Straftat begangen hätte, sondern weil er dort als Seelsorger seinen Arbeitsplatz hat. Davon erzählte Pastor Gerhard Dierks in dem aufschlussreichen Konfi-Kurs „Kirche hinter Gittern“.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde, in der die 11 Jugendlichen dem 57 jährigen passionierten Radfahrer unter anderem erzählten, wo sie in Lehrte wohnen, zog der Gefängnisseelsorger etliche Gegenstände aus seinem Rucksack hervor und legte sie in die Mitte des Stuhlkreises. Da fand z.B. der Kaffeebecher Platz neben dem Fotoapparat, Rosenkranz und Gebetsbuch lagen neben dem Glas mit Haarwachs. Aber auch ein Personennotrufgerät(PNG), ein Buch zum Deutschlernen, eine Uhr und Tabak befanden sich unter den Dingen, die Gerhard Dierks mitgebracht hatte. „Könnt Ihr Euch vorstellen, was das mit einem Gefängnis zu tun hat?“ fragte er die Konfirmanden, nachdem sich jeder von ihnen einen Gegenstand aus der Mitte ausgesucht hatte.
Es war erstaunlich, wie viel Zusammenhänge die Konfirmanden herstellen konnten: Das Buch zum Deutschlernen: zeigte z.B., dass viele Gefangene die schulischen Möglichkeiten, die die JVA ihnen bietet, nutzen, um mitgebrachte Defizite aufzuarbeiten. Die Häftlinge können ihre Zeit hinter Gittern nutzen und zum Beispiel den Haupt- oder Realschulabschluss nachzumachen oder aber um eine Ausbildung zum Koch zu absolvieren.
Die Konfirmanden erfuhren, dass Besuche im Gefängnis eine ganz wichtige Rolle spielen, und sich viele Gefangene dafür "schick machen". Daran erinnerte das Glas mit dem Haarwachs. Der Fotoapparat wird manchmal gebraucht, um vom Seelsorger Fotos machen zu lassen, die an Angehörige geschickt werden.
"In der Haft stellen sich manchmal erneut und oft zum ersten Mal Fragen nach Gott und dem Glauben" berichtete Pastor Dierks. Bibel, Rosenkranz und Gebetskerze bekommen darum eine ganz andere Bedeutung als zuvor in Freiheit. "Wenn Familienmitglieder oder Freunde 'draußen' erkranken, verunglücken oder auch sterben, bitten viele Gefangene um eine Gebetskerze“, berichtet er weiter.
Nach dieser Assoziationsrunde verteilte der Seelsorger ein Liedblatt aus seinem letzten Gottesdienst und stimmte mit der Gitarre „Laudato si“ an. Als der Refrain zum zweiten Mal wiederholt wurde, sangen fast alle mit. Wow! Das klang gut.
Danach zeigte Pastor Dierks eine Overheadfolie mit einer Luftaufnahme der JVA Sehnde. Die Konfirmanden erfuhren, wo die Inhaftierten untergebracht sind und in welchen Bereichen der Anstalt sie arbeiten oder zum Arzt gehen.
Auch ein großer Sportplatz mit einer Sporthalle gehört mit zum 15,5 ha großen Areal der Anstalt. "Sport ist sehr wichtig für die Gefangenen. Mit Bewegung können sie Spannungen abbauen. Wir haben in Sehnde einige erfolgreiche Sportmannschaften", erzählt der Gefängnispastor, der vor seinem Job in der JVA über 25 Jahre als Gemeindepastor gewirkt hat.
Auch Musik spielt eine wichtige Rolle im Haftalltag. So gibt es eine Band und einen Chor, die vor allem bei den wöchentlichen Gottesdiensten ihren Auftritt haben. Rund 70 Häftlinge finden sich Sonntag für Sonntag bei Pastor Dierks und seinen beiden Kollegen im Gottesdienstraum ein. Stolz erzählt er von dem Gospelprojekt, das vier Jahre lang mit etlichen Häftlingen durchgeführt wurde. Professionelle Musiker haben mit den Gefangenen geübt und sogar eine CD aufgenommen. Als Hörprobe legt er die mitgebrachte CD ein und die Jugendlichen hören den Chor mit dem Stück '“Don't worry.“ Nicht schlecht, vor allem, wenn man bedenkt, dass die meisten Sänger zuvor keinerlei musikalische Ausbildung hatten.
Nachdem die Konfirmanden einen sehr plastischen Eindruck vom Gefängnisalltag bekommen hatten, schwangen sie sich auf ihre Räder, um entlang dem Eisenbahnlängsweg Richtung Sehnde zu radeln. Die Justizvollzugsanstalt Sehnde, die ausschließlich für Männer bestimmt ist, wurde im Oktober 2004 in Betrieb genommen. Mit einer Belegungsmöglichkeit von 534 Haftplätzen ist die JVA eine der größten Anstalten des Landes.
Vor dem Eingang, oder besser gesagt vor der "Außenpforte" der JVA sammelte sich die Gruppe.
Alle Besucher der Inhaftierten, aber auch der Lieferverkehr werden hier kontrolliert, bevor sie hereingelassen werden. Dann weist Pastor Dierks noch auf zwei Sachen hin: Ein großes Vogelhaus aus Holz, das in der Arbeitstherapie gefertigt wird und auf die Bank, direkt an der Einfahrt zum Parkplatz. „Hier warten oft entlassene Häftlinge auf ein Taxi, auf Freunde oder Angehörige. Hier beginnt die Fahrt in die Freiheit", erzählt der Seelsorger.
Mit vielen neuen Eindrücken treten die Konfirmanden den Rückweg an. Angekommen im Kirchenzentrum, greift Pastor Dierks noch einmal zur Gitarre und alle gemeinsam singen noch zwei Strophen von 'Laudato si'. Nach einem Gebet verteilt der Pastor Bastelvorlagen für einen Segenswürfel und verabschiedet sich mit den Worten: „Falls Euch bei Facebook mal langweilig ist, könnt ihr ja mal den Würfel zusammenbauen und an den Konfi-Kurs denken.“
Ob die Konfis tatsächlich den Würfel basteln, wage ich zu bezweifeln. Allerdings glaube ich , dass viele von ihnen von diesem interessanten wie unterhaltsamen Nachmittag etwas mitgenommen haben.
Sylke Wilde